Die dunkle Seite der Videospiele
In ihrem handlichen Buch «Die Gaming-Falle: Wie digitale Spiele uns um Zeit, Geld und Daten bringen» zeigt Jeannine Simon auf, mit welch vielfältigen Tricks die Computerspiel-Industrie heute arbeitet.
Dass die Gaming-Industrie mit Psychologen zusammenarbeitet und vermehrt auch Elemente einsetzt, die bis vor wenigen Jahren Glückspielen vorbehalten waren, ist allgemein bekannt. Prominent wurden in diesem Kontext die Lootboxes.
Eine Lootbox (loot = Beute) ist eine Art Schatztruhe, deren Inhalt unbekannt ist. Lootboxes können in vielen Spielen gewonnen, aber auch mit richtigem Geld gekauft werden. Dieses Modell «Unbekannt» kennen die meisten Eltern von den immer wiederkehrenden Sammelbildern wie den Fussballer-Porträts von Panini. Also was ist das Problem? Der grosse Unterschied zum Füllen eines Albums, das wenn es mal voll ist, niemanden mehr interessiert, ist folgender: Das Sammeln bei Games hat in den meisten Fällen kein Ende, erklärt Jeannine Simon. Dadurch rennen die Sammlerinnen und Sammler immer dem nächsten und neuen Dingens her, das die Spielproduzenten ihnen einer Karotte gleich vor die Nase halten.
Keine Angstmacherei
«Die Gaming Falle» betreibt keine Angstmacherei à la Manfred Spitzer, sondern zeigt auf und bietet am Ende jedes Kapitels Lösungsvorschläge, die teils mehr gut gemeint als im Alltag umzusetzen sind. Aber: Im Vergleich zum Bestseller-Neuropsychologen Spitzer hat Jeannine Simon eine Ahnung von Games und digitalen Medien. Sie weiss aus eigener Erfahrung, wie Druck auf die Spielenden gemacht wird und vor allem wie Dark Patterns längst nicht mehr nur vereinzelt auftreten, sondern zu einem manipulativen Netz verwoben werden, dem sich Menschen mit einer entsprechenden Prädisposition kaum entziehen können.
Die Dark Patterns, die in Games gerne eingesetzt werden, geben beispielsweise Zeitfenster vor: «Nur wer sich morgen einloggt, hat die Chance, XY zu gewinnen.» Oder wenig spielen wird sanktioniert: In dem ab drei Jahren freigegebenen Titel «Animal Crossing: New Horizons» von Nintendo bevölkern Kakerlaken das Heim der Spielfigur, wenn man nicht regelmässig online ist. So wird, wie Jeannine Simon festhält, «gewohnheitsmässiges Spielen» gefördert, was einer Abkehr von der intrinsischen Motivation, etwas aus Spass zu spielen, entspricht.
Glückselemente gehören (nicht) dazu
In vielen verschiedenen Formen treten auch Glückspielelemente auf. Manchmal sind es Lootboxes, Glücksräder oder Pseudo-Interaktionen, die bei den Spielenden die Illusion wecken, dass ihre Handlung etwas bewirkt, während tatsächlich ein Algorithmus den Ablauf kontrolliert. Etwas ältere Semester können diese Gambling-Elemente als solche identifizieren, treten sie doch erst in den letzten Jahren prominent auf. Doch für Kinder und Jugendliche, die die «alten» Games, die rein auf Können und Fähigkeiten setzten, nicht kennen, gehören die Glückspielelemente gewissermassen dazu. Das ist deshalb problematisch, weil manche Studien darauf hinweisen, dass es zu einer Gewöhnung kommen kann, die möglicherweise eine spätere Neigung zu Glückspielen verstärkt. In eine ähnliche Richtung deuten Befunde, dass wer in Games virtuelle Güter kauft, ein höheres Risiko hat, sich dem Gambling hinzuwenden.
Jeannine Simons Buch bietet kompakt einen Einblick in die aktuellen Machenschaften der Game-Industrie, die immer raffinierter werden, um an unser Geld, unsere Zeit und Daten zukommen. Empfohlen in diesem Zusammenhang sind Game-Abonnemente wie Apple Arcade, deren Spiele keine Daten sammeln und die Privatsphäre der Spielenden respektieren. Oder eine kritische Auseinandersetzung mit den sich stets verändernden Mechanismen der Game-Welt, um deren Wirkungsweisen zu erkennen, denn so schnell wird sich nichts ändern.
Jeannine Simon, «Die Gaming-Falle: Wie digitale Spiele uns um Zeit, Geld und Daten bringen», Kopaed, 162 Seiten