Was sind soziale Medien?
Die Frage ist alles andere als einfach zu beantworten – besonders wenn es darum geht, Verbote oder Einschränkungen zu definieren.
Die Frage klingt einfach, und entsprechend irritiert fielen die Reaktionen in der Arbeitsgruppe aus, die sich Ende Oktober in Bern eingefunden hatte. Sie setzte sich aus nationalen Expert:innen zum Thema «Online-Sucht» zusammen. Doch die anfängliche Verwunderung wich schnell einer angeregten Diskussion, denn die Frage ist alles andere als einfach zu beantworten – besonders wenn es darum geht, Verbote oder Einschränkungen zu definieren.
Aktuell sind Verbotsforderungen voll im Trend. Postulate aus dem Parlament fordern Massnahmen, die Kinder und Jugendliche vor schädlichem Konsum von sozialen Medien schützen sollen. Der Bundesrat ist beauftragt, einen dahingehenden Bericht zu verfassen.
Handys sollen aus Schulen verschwinden. Dagegen ist nichts einzuwenden, wenn der sinnvolle Umgang mit dem omnipräsenten Gerät dennoch unterrichtet wird. Gemäss Generationenbarometer 2025 sprechen sich 82 Prozent der Befragten im Alter von 18 bis über 75 Jahren für ein Smartphone-Verbot an Schulen aus.
Nicht ganz so deutlich fällt die Zustimmung für ein Verbot von sozialen Medien aus: Laut Generationenbarometer 2025 würden zwei Drittel der Schweizer Bevölkerung ein Tiktok-Verbot befürworten. Selbst bei den 18- bis 25-Jährigen sind es 60 Prozent, die der chinesischen App den Riegel schieben wollen.
Keine einfache Definition
Doch was sind soziale Medien? Beispiele hat man schnell zur Hand: Facebook, Instagram, Tiktok … Wie schaut es mit einer Definition aus? Grundsätzlich müsste die Vernetzung von Personen zum Austausch von Informationen im Zentrum von Social Media stehen, denn damit fing alles an. In Australien, wo ab Dezember ein Verbot von sozialen Medien für Jugendliche unter 16 Jahren in Kraft gesetzt wird, wird die Definition breit gehalten:
«• Der einzige oder wesentliche Zweck des Dienstes besteht darin, Online-Interaktionen zwischen zwei oder mehr Endnutzern zu ermöglichen.
• Der Dienst erlaubt es Endnutzern, sich mit anderen Endnutzern zu verbinden oder mit ihnen zu interagieren.
• Der Dienst erlaubt es Endnutzern, Inhalte auf dem Dienst zu veröffentlichen. »
Die australische Grundlage für das Verbot von sozialen Medien für Kinder und Jugendliche beschränkt sich auf den Social-Media-Mainstream. Kurznachrichten-Apps wie Whats-App, Online-Games und digitale Angebote, die in erster Linie Gesundheits- und Bildungsinhalte anbieten, sind ausgeklammert. Das ist verständlich, zeigt aber exemplarisch auf, wie überholt dieser Ansatz ist.
Extremisten weichen aus
Nehmen wir die australische Ausnahme «Online-Games». Es ist seit einigen Jahren bekannt, dass extremistische Kreise auf Online-Spiele für ihre Kommunikation ausweichen, weil traditionelle soziale Medien zu stark überwacht werden. Gemäss Fachleuten ist es wesentlich schwieriger, den illegalen Austausch im Rahmen von Game-Chats zu verfolgen, da in einem «Räuber und Poli»-Szenario wie «Call of Duty» oder «Counterstrike: Global Offensive» immer wieder von Bomben, Attentaten und dergleichen die Rede ist. Auch taktische Absprachen gehören dazu. Wie soll hier zwischen Spielinhalt und realer Attentatsvorbereitung unterschieden werden können? Keine einfache Aufgabe.
Der Missbrauch von Computerspielen reicht mehr als zwanzig Jahre zurück, hat sich aber in den letzten Jahren intensiviert. Stand zu Beginn Propaganda im Vordergrund, kommt es dieser Tage vermehrt zu Radikalisierungen von Jugendlichen über Game-Kanäle. Der Massenmörder von Christchurch teilte 2019 einen Live-Stream seines Massakers auf Facebook und brüllte zu Beginn seiner Tat: «Subscribe to Pewdiepie – Abonniert Pewdiepie». Pewdiepie war zu diesem Zeitpunkt der beliebteste Influencer auf Youtube mit über 100 Millionen Abonnenten, der sogenannte «Let’s play»-Videos erstellte, in denen er ein Game spielt und kommentiert. Drei Jahre später hinterlegte der Attentäter von Buffalo auf der von Gamern bevorzugten Plattform Discord die Unterlagen seines Terroranschlags und streamte seine Tat live über die Game-Streaming-Plattform Twitch. Diese schwerwiegenden Taten rüttelten zumindest Teil der Politik und Sicherheitsbehörden wach.
Was ist Fortnite?
Und an dieser Stelle sei die Frage erlaubt: Was ist Fortnite? Für viele genervte Eltern und Lehrpersonen ist Fornite ein Game. Das war es vor vielen Jahren. Inzwischen ist Fortnite ein Ort der Begegnung mit einem Holocaust Museum, Live-Konzerten von namenhaften Künstler:innen wie Travis Scott, Ariana Grande und Eminem, Diskussionen zu politischen Themen usw. Hier finden sich Jugendliche und Erwachsene, um zu spielen, die Zeit zu vertreiben und um sich auszutauschen. Vor ein paar Wochen traf sich Kaliforniens Gouverneur Gavin Newsom mit dem Streamer ConnorEatsPants zu einem Fortnite-Spiel. Gemeinsam diskutierten sie über die Politik von US-Präsident Trump, während sie durch das Game stürmten. Games sind längst zu sozialen Medien geworden, die über einen gemeinsamen Nenner verfügen: den Inhalt des Spiels.
Ein Verbot ist keine Lösung
Die eben gemachten Ausführungen zeigen, dass der Verbotsansatz im Kontext mit digitalen Medien in den wenigsten Fällen zielführend ist. Die Beispiele machen auch klar, dass das sich wandelnde Umfeld eine grosse Herausforderung für die Gesetzgeber und die Gesellschaft im Allgemeinen ist. Auf einer politischen Ebene sind solche Vorstösse beliebt: Es wurde etwas gemacht. Doch sie verheissen meistens eine falsche Sicherheit, denn ein Verbot ist nur so gut wie seine Umsetzung oder die Möglichkeit, es umzusetzen, was im Kontext länderübergreifender digitaler Medien in der Regel sehr schwierig ist.
Das ist keine Bankrotterklärung, sondern ein Aufruf, nachhaltigere Lösungen zu suchen anstelle von Verboten, die ohne weitreichende Überwachung und Eingriffe in die Privatsphäre – nicht nur von Kindern und Jugendlichen – kaum umzusetzen sind.
Die Diskussion über ein Verbot, wie es in Australien im Dezember eingeführt wird, ist wichtig, aber noch wichtiger ist die Offenheit für Ansätze und Lösungen, die weiter reichen als eine kurzfristige Gewissensberuhigung. Der quecksilbrigen Natur digitaler Medien kann primär mit Medienkompetenzförderung begegnet werden. Noch immer wird das Thema an Schulen stiefmütterlich behandelt, weil die Zeit, das Wissen und teils auch das Interesse fehlen. Hier gilt es anzusetzen und nicht mit der Ausarbeitung eines Verbots, dessen Umsetzbarkeit zweifelhaft ist.
Quellen:
https://www.begh.ch/generationen-barometer
https://www.bbc.com/news/technology-47583393


