Von Muffins zu Miniportionen – Skinny-Tok
Übertriebene Schlankheitsideale werden von Algorithmen portiert, auch wenn man nicht danach sucht.
Franziska Feldhaus (19)
Eigentlich wollte ich nur neue Rezeptideen finden. Mein Tiktok-Algorithmus wusste das auch – dachte ich zumindest. Auf meiner For-You-Page landeten anfangs Backideen, schnelle Mittagsgerichte und kreative Sandwiches. Doch langsam, aber sicher tauchten zwischen fluffigen Muffins und Pastasaucen Videos auf, die zeigten, wie man mit möglichst wenig Kalorien durch den Tag kommt. Statt Kochinspiration bekam ich «What I eat in a day»- Clips mit winzigen Portionen, Körpervergleichen und Tipps wie man Mahlzeiten möglichst fettarm gestaltet. Ich war inmitten «Skinny-Tok» gelandet – einem Trend, der Dünn-sein romantisiert und problematische Essgewohnheiten verharmlost.
Dabei geht es bei «Skinny-Tok» nicht nur darum, wie man abnimmt. Denn an einem kalorienärmeren Rezept ist grundsätzlich nichts auszusetzen. Es geht mehr um das sogenannte «Skinny Girl Mindset». Dieses propagiert: Dünn-sein erfordert keinen Verzicht, sondern nur überschaubare Portionen und emotionale Kontrolle. Frustessen gilt als Schwäche, wer schlank sein will, muss lernen, sich selbst zu disziplinieren. Essen soll nicht emotional sein, sondern funktional. Schlankheit wird zur Lebenseinstellung – unabhängig von Sport oder tatsächlicher Gesundheit.
Die Tipps und Ratschläge wirken motivierend: Jeder kann dünn sein – man braucht nur Disziplin, «gesunde» Ernährung und das richtige Mindset. Es klingt vernünftig, wenn eine Influencerin sagt: «Geh spazieren, statt zu snacken.» Aber genau das macht es gefährlich. Denn hinter der Fassade von Self-Improvement und Lifestyle steckt oft ein problematisches Verhältnis zu Essen und zur eigenen Selbstwahrnehmung.
Das grösste Problem: Gesundheit wird mit Schlankheit gleichgesetzt. Wer fit sein will, muss dünn sein. Wer diszipliniert ist, zählt Kalorien. Und obwohl betont wird, dass man nicht verzichten muss, bezieht sich dieser «Verzicht» oft auf das Was, und nicht darauf Wie oft und wie viel gegessen werden darf. Dort besteht sehr wohl ein Verzicht auch mit dem «Skinny Girl Mindset» – nur subtiler verpackt.
Das Comeback von Size Zero und Heroin-Chic
Hierzu kommt der ständige Vergleich mit anderen Körpern – eine stille, aber beständige Botschaft. Du solltest so aussehen wie sie, die «Skinny-Tok»-Influencerinnen. «Skinny-Tok» verbreitet unrealistische Schönheitsideale, da diese Inhalte meist von sehr dünnen Frauen produziert werden. Das Ideal erinnert zunehmend an die 2000er-Jahre: Size Zero und der «Heroin Chic»-Look kommen zurück, während Body-Positivity immer weiter in den Hintergrund rückt. Dahinter steckt auch eine gesellschaftliche Angst – die Angst davor, dick zu sein. In einer Welt, in der Schlanksein mit Erfolg, Disziplin und Attraktivität gleichgesetzt wird, erscheint jede Abweichung davon als Makel. Und genau das macht es so gefährlich – denn im Extremfall werden Essstörungen wie Magersucht oder Bulimie nicht nur verharmlost, sondern auch romantisiert.
Auf Druck mehrerer EU-Ländern hat Tiktok inzwischen das Hashtag #SkinnyTok gesperrt. Hintergrund dazu ist unter anderem der seit 2020 festgestellte Anstieg von Essstörungen bei 12- bis 17-jährigen Mädchen. Ein möglicher Auslöser dafür soll unter anderem die Nutzung sozialer Medien sein.
Wer heute nach «Skinny-Tok» sucht findet statt Videos nur noch ein Bild mit der Überschrift: «Du bist nicht allein.» Darunter ein Hinweis sowie ein Link zum Tiktok-Safety-Center. Dort findet man Tipps, was man tun kann, wenn man selbst von Essstörungen betroffen ist – oder wenn man sich Sorgen um eine andere Person im eigenen Umfeld macht.
Stirnrunzeln statt Selbstzweifel
Obwohl Inhalte wie «Skinny-Tok» Essstörungen begünstigen können, sind sie meist nur ein Teil eines grösseren Problems. Für mich persönlich war die Erfahrung eher ein Anlass zum Stirnrunzeln als zu Selbstzweifeln. Ich fühle mich wohl in meinem Körper und habe kein Bedürfnis abzunehmen. Als jemand mit normalem Gewicht machen viele der Tipps für mich keinen Sinn – ich bin überzeugt, dass ich mit so einem kontrollierten Essverhalten auf die Dauer unglücklich wäre. Statt mich davon beeinflussen zu lassen, frage ich mich eher, wie und warum Menschen so leben – und was sie dazu bringt, solchen Trends zu folgen.
Zudem habe ich mich mit meinen Freunden über das Thema unterhalten, und wir haben ähnliche Sichtweisen. Es gibt durchaus Tipps unter dem Hashtag «Skinny-Tok», die gesunde Lebensweisen und Abnehmen fördern, aber eben auch Aussagen, die sehr problematisch sein können. Es ist also ein zweischneidiges Schwert. Bei dem man aufpassen muss und kritisch hinterfragen, was hilfreich und was Wahnsinn ist.
Am Ende entscheidet jeder für sich, wie er sein Leben leben möchte. Und: «Skinny-Tok» ist nicht für alle problematisch. Wer ein gutes Körperbild von sich selbst hat und Inhalte kritisch hinterfragt, kann vieles davon einfach wegscrollen und wird nicht davon beeinflusst. Zudem führt es auch bei Befolgen des Mindsets nicht zwingend zu gesundheitlichen Problemen. Dennoch sollte uns bewusst sein, dass sich hinter harmlos wirkenden Trends problematische Ideale und Botschaften verstecken können, die insbesondere für junge Menschen, die in ihrem Selbstbild noch nicht gefestigt sind, schädlich sein können.
Illustration: Marc Bodmer x hotpot.ai