Radikal ist nur die verpasste Chance
Das Serious Game Radical Choices soll Radikalisierung und Extremismus durch spielerische Aufklärung verhindern, doch der gut gemeinte Versuch ist gescheitert.
Quirin Gerosa (19)
Das Serious Game Radical Choices soll Radikalisierung und Extremismus durch spielerische Aufklärung verhindern, doch der gut gemeinte Versuch ist gescheitert.
Lässt man bei einem «Serious Game» das Spiel weg, bleibt einzig der Ernst der Sache. Beim Game Radical Choices, das Teil des Nationalen Aktionsplans zur Verhinderung und Bekämpfung von Radikalisierung und gewalttätigem Extremismus (NAP) ist, kommt etwas heraus, das so trocken ist wie ein Infoblatt, aber weniger Substanz vermittelt. Das ist schade, denn die Idee mit einem Videospiel über die Mechanismen von Radikalisierung aufzuklären, leuchtet ein. Schliesslich teilen sie eine gemeinsame Zielgruppe: junge Männer.
Den Prozess der Radikalisierung für ein Spiel zu vereinfachen und erklärbar zu machen, ist pädagogisch wertvoll und senkt die Anforderungen an das Vorwissen. Die Idee, das Thema zu verfremden, verstärkt den spielerischen Charakter. Die Verfremdung mit Pizza, Lamas und Pferden als Spielfiguren ist witzig und schafft eine lockere Lern- und Spielatmosphäre. So wird ein Rahmen geschaffen, der das Spiel – wie das üblich ist – klar von der realen Welt abgrenzt. Doch plötzlich erwähnt das Lama, dass die Lamas «gegen die woke Verblödung kämpfen». In diesem Moment löst sich die aufgebaute Grenze zwischen Spiel und realer Welt schlagartig auf. Der unvermittelte Rückzieher aus der Verfremdung ist plump und damit kontraproduktiv.
Als Spiel funktioniert Radical Choices leider nicht. Serious Games haben grundsätzlich nicht den Anspruch, so unterhaltsam zu sein wie «normale» Spiele, das müssen sie auch nicht. Bei Radical Choices verschwindet aber das Spielerische gar schnell, zurück bleibt ein interaktives Lernblatt. Das liegt auch am Grundcharakter des Spiels: Es ähnelt dem Spielprinzip der beliebten Reigns-Serie.
Ein simples Spielprinzip zu sehr vereinfacht
In diesen Spielen gilt es, vier verschiedene Werte im Gleichgewicht zu halten und so möglichst lange zu überleben. Dieser zentrale Aspekt fällt bei Radical Choices weg. Das Ende ist immer nach 30 Entscheidungen erreicht. Hinzu kommt, dass bei den Reigns-Spielen ein Wert, der das Maximum erreicht, ebenso das Ende bedeutet wie ein Wert, der auf null abgleitet. Bei Radical Choices bedeutet nur ein leerer Balken Game Over. Ausserdem wird bereits vor der Wahl zwischen den Optionen A oder B angezeigt, wie sich die Entscheidung auf die verschiedenen Werte auswirken wird. Dadurch verliert das Game ein wichtiges Spannungselement und den Reiz der Wiederspielbarkeit.
Das ohnehin schon einfache Spielprinzip von Reigns in Radical Choices weiter zu vereinfachen, ergibt wenig Sinn und wirkt als Spassbremse. Zudem beeinflussen sich die 30 Entscheidungen nicht gegenseitig. Es gibt keine variierenden Pfade wie bei Reigns, die je nach Entscheidung unterschiedlich verlaufen. Diese Linearität und die bereits erwähnte Vereinfachung führen dazu, dass Radical Choices bereits nach dem ersten Durchspielen langweilig wird. Es ist eine verpasste Chance, denn Radikalisierung ist an sich schon ein spannendes Thema, polarisiert diese doch von Natur aus und würde zum Mehrmals-Spielen einladen. Es bleibt eine leere Spielhülle, die keinen Sog entwickelt und als Spiel weit hinter der vielversprechenden Idee zurückbleibt.
Verpasste Chance
Das liegt vermutlich auch an der heterogenen Zielgruppe: Radical Choices will Jugendlichen helfen, die Mechanismen der Radikalisierung zu erkennen. Gleichzeitig richtet sich das Projekt Gaming against Extremism, unter dem Radical Choices läuft, an Fachkräfte, die das Thema Radikalisierung in ihrer Arbeit mit Jugendlichen behandeln. Das Spiel ist einfach genug, um von einem Jugendlichen allein gespielt zu werden, funktioniert aber am besten, wenn eine Fachperson den Prozess begleitet.
Fachlich ist Radical Choices top, es vermittelt gut und einfach, wie Radikalisierung abläuft und sensibilisiert durch die Schaffung von Wissen und hübsch dargestellten Beispielsituationen. Als Spiel scheitert es trotz der niedrigen Ansprüche an ein Serious Game. Auf der Produktionsseite scheint es wenig Verständnis für das Medium Spiel zu geben. Dieses kann mehr sein als Berieselung des Spielers und kopfloses Swipen. Schliesslich lieben Gamerinnen und Gamer Herausforderungen. Viele Videospiele leben von der Polarisierung und der damit einhergehenden Spannung, als treibender Kraft. Am Ende ist Radical Choices weniger Spiel als interaktive Infobroschüre. Das ist schade, denn Thema und Inhalt hätten sich bestens geeignet für ein Serious Game.
Quellen: