Mode oder psychische Gefährdung? Die Gefahren von Stil-Subkulturen
Der japanische Modestil «Jirai-Kei» wirkt niedlich. Doch die jungen Frauen, die ihn pflegen, tragen oft eine tragische Vergangenheit mit sich. Nun ist der Trend auch in der westlichen Welt angekommen.
Vivian Kurgod Matha (18)
Es ist mittlerweile bekannt, dass auf dem Internet viele verstörende Inhalte offen und leicht zugänglich sind, was besonders für Kinder ein Risiko darstellt. Jedoch wird oft angenommen, dass solche Medien an Orten kursieren, die nur dann aufzufinden sind, wenn man spezifisch danach sucht. Es ist allerdings einfacher, auf solche Foren zu stossen, als man denkt.
Ein Beispiel dafür ist der Mode-Stil «Jirai-Kei», der aus Japan stammt. Der Stil ist sehr niedlich, es dominieren die Farben Pink, Schwarz und Weiss. Outfits setzen sich meist aus Blusen und Röcken zusammen, die mit unzähligen Schleifen und Rüschen besetzt sind. Der Ursprung des Stils und die Kultur dahinter sind jedoch alles andere als harmlos: Der japanische Begriff «Jirai» wird als «Landmine» übersetzt. Es werden oft Mädchen mit diesem Begriff bezeichnet, die nach aussen hin niedlich erscheinen, kommt man ihnen näher, aber oft psychische Schwierigkeiten offenbaren und in Beziehungen sehr toxisch sein können.
In Japan entstand der Modestil zur «Jirai-Kultur» unter Mädchen, die bereits in jungem Alter aus ihren Elternhäusern wegrannten und sich oftmals prostituieren mussten, um genug Geld zum Leben zu haben. Ebenfalls wird oft eine Obsession mit sogenannten «Host-Clubs» glorifiziert, wobei die Mädchen sehr viel Geld dafür bezahlen, mit attraktiven Männern zu reden. Somit werden Themen wie obsessive Liebe, Selbstverletzung und Essstörungen in der Jirai-Community gefeiert. Hierzu möchte ich anfügen, dass die meisten Jirai-Foren, die ich gefunden habe, englischsprachig sind und hauptsächlich aus Leuten bestehen, die nicht aus Japan stammen. Diese können sich mit dem Lebens- und dem Modestil trotz kultureller Differenzen identifizieren und verwenden die Foren, um über ihre Probleme zu sprechen. Als eine Person, die sich für Mode interessiert, war es für mich sehr leicht, auf der Plattform «Tumbl» auf diese Community zu stossen. Obwohl ich selbst relativ viel Erfahrung mit dem Thema psychische Gesundheit habe, hat dieses Forum mich stark mitgenommen. Man findet lauter Posts, in denen Selbstmordwünsche geäussert werden, ebenfalls findet man leicht Fotos von Selbstverletzungswunden.
Dunkel und niedlich
Ähnliche Foren findet man unter den Begriffen «Menhera» (jap., «mental health») und «Yami Kawaii» (jap., «dunkel niedlich»), die oft miteinander und mit Jirai überlappen. Diese Begriffe stehen ebenfalls für Modestile, obwohl Leute in den letzteren beiden Communitys grösseren Wert darauf legen, die Gesellschaft über psychische Gesundheit zu informieren und leidenden Menschen bei ihrem Heilungsprozess zu helfen.
Unter dem Suchbegriff «Girlblogging» findet man eine weitere, ebenfalls vorwiegend englischsprachige Community, die ähnliche Themenbereiche aufgreift. In dieser Gruppe werden Traumata oft romantisiert oder sogar als begehrenswert dargestellt. Ich fand viele Posts über die im Forum begehrte «Nymphet-Aesthetic», die versucht, die Titelfigur aus dem Roman «Lolita» zu imitieren. Der Roman wird aus der Sicht eines Pädophilen erzählt, der eine sexuelle Obsession für die zwölfjährige Lolita entwickelt und diese nach dem Tod ihrer Mutter entführt. Im Girlblogging-Forum wird die Rolle von Lolita romantisiert, und dies führt dazu, dass viele junge Mädchen sich auf Beziehungen mit weitaus älteren Männern einlassen, meist online, und dabei zu Schaden kommen.
Die meisten Leute in diesen Communitys haben kein Bedürfnis, ihre Situation zu verändern, die Communitys sind für leidende Menschen eine Möglichkeit, sich frei auszudrücken, ohne befürchten zu müssen, wegen ihrer Probleme verstossen zu werden. Der niedliche Kleidungsstil hilft diesen Personen oft, da es sie glücklich macht, schöne Kleider zu tragen, und sie motiviert, aktiv zu werden und aus depressiven Phasen zu entkommen. Zudem wird dadurch der Selbstekel dieser Menschen gelindert, da sie damit beweisen, dass man sogar als Person, die unter psychischen Schwierigkeiten leidet, schön aussehen kann.
Leicht auffindbar
Andererseits können diese Communitys einen so stark emotional mitnehmen, dass mögliche Versuche einer Besserung fast gänzlich verhindert werden, auch wenn manche Personen sich nach einer Veränderung sehnen. Ebenfalls werden viele Verhaltensweisen unterstützt und romantisiert, welche sich sehr schädlich auf einen auswirken können, besonders auf Kinder, welche sich in diesen Foren aufhalten, ohne gelernt zu haben, die dort besprochenen Themen kritisch zu behandeln. Selbst auf erwachsene Personen haben diese Foren eine starke emotionale Wirkung.
Besonders problematisch ist es, wie leicht diese Foren zu finden sind. Ich bin zuerst auf die Jirai-Community gestossen, als ich nach DIY-Projekten suchte und mir als erste Idee eine Videoanleitung für das Dekorieren eines Cutters vorgeschlagen wurde, wie er oft als Instrument für Selbstverletzung verwendet wird. Auf Tiktok nimmt die Bekanntheit des «Jirai-Kei» Modestils ebenfalls rapide zu und ist bereits in den Mainstream eingeflossen. Obwohl der Grossteil der Leute auf Tiktok nur an der Mode und nicht am Lebensstil teilhat, ist es leicht, von dort aus in besagte Foren zu stolpern. Es ist weder möglich noch wäre es hilfreich, diese Foren gänzlich zu entfernen, weil damit vielen Menschen ihre sicheren Orte entrissen würden, worauf sie sich einfach in anderen Internetforen gruppieren würden. Daher ist es am besten, sich dieser Foren bewusst zu sein und seine Kinder im Umgang mit dem Internet zu unterstützen, damit sie nicht versehentlich mit solchen Inhalten konfrontiert werden.