Alle zwei Jahre werden Resultate der James-Studie (Jugend, Aktivitäten, Medien–Erhebung Schweiz), der einzigen Langzeitstudie zum Mediennutzungsverhalten von Schweizer Jugendlichen, veröffentlicht. Im vergangenen Herbst war es wieder einmal so weit, und die Ergebnisse von James 2024 überraschen in vielen Bereichen.
Der Fragebogen, der in den drei grossen Sprachregionen von 1183 Jugendlichen im Alter von 12 bis 19 Jahren ausgefüllt wurde, umfasst, nebst den Freizeitaktivitäten, der Nutzung von Handys, Computern, sozialen Medien, Streaming-Abos und Games, neu auch die Verwendung von grossen Sprachmodellen wie ChatGPT. Aufgrund der stetigen und unerfreulichen Zunahme von Cybermobbing und sexueller Belästigung in Online-Kanälen wurden dieser Bereich differenzierter ausgebaut.
Grundsätzlich hält das Forschungs-Team der ZHAW fest, dass die Jugendlichen Zugriff auf eine grosse Vielfalt von Medien haben. Praktisch ausnahmslos haben sie Zugang zu Internet, Handy, Computer/Laptop und einem Fernsehgerät. Im Vergleich zu 2022 haben etwas weniger Haushalte ein Streaming-Abonnement, aber immer noch stolze acht von zehn. Es sind auch acht von zehn Jugendlichen, die zumindest ab und zu in ihrer Freizeit gamen, rund die Hälfte der Befragten sogar regelmässig.
96 Prozent regelmässige Gamer
Auffällig ist immer noch der Nutzungsunterschied der Geschlechter. Bei den männlichen Jugendlichen spielen 96 Prozent regelmässig. Damit gehört Gaming also vor allem zum Alltag der Schüler, wird aber auch bei den Schülerinnen immer beliebter. Im Vergleich zur James-Studie 2022 haben die Jungs um drei Prozent zugelegt, während die weiblichen Jugendlichen nach einem Sprung von 56 auf 65 Prozent im Jahr 2022 unverändert bei 65 Prozent stehen.
An dieser Stelle sei unabhängig von der James-Studie angemerkt, dass viele Mädchen sich nicht als Gamerinnen identifizieren, während das Jungs liebend gern tun. Dem Spielen am Bildschirm messen die weiblichen Jugendlichen nicht die gleiche Bedeutung zu. Werden sie gefragt, ob sie Gamerinnen sind, verneinen sie das in der Regel, obschon sie immer wieder auf dem Handy, Konsolen oder dem PC zocken.
Wechsel an der Spitze
Innerhalb der Vorlieben für Games kam es zu bemerkenswerten Verschiebungen. Dominierte «Fortnite» (Genre: Shooter) im Jahr 2018 deutlich, hatte 2020 das jüngste Kapitel der «Call of Duty»-Serie (Shooter, freigegeben ab 18 Jahren) Platz 1 wieder erobert – wie schon in den Jahren 2012 und 2014.
In der James-Studie 2022 wurde nicht nach dem Lieblingsspiel gefragt, umso deutlicher sind die Verschiebungen 2024 gegenüber 2020 ausgefallen: Das liebste Game der Jugendlichen ist das Gratis-Handyspiel «Brawl Stars» – es hat die bisherigen Favoriten überholt. Das ebenfalls kostenlose «Fortnite» steht auf dem zweiten Platz, gefolgt vom virtuellen Lego-Spiel «Minecraft». Den vierten und fünften Platz der Games-Hitparade belegen «EA Sports FC» (vormals «Fifa») und «Grand Theft Auto V», das 2013 veröffentlicht wurde.
Zählten mit «Fortnite», «Call of Duty» und «GTA V» – teils harte Action-Spiele zu den Favoriten, zeigt die Nutzung 2024 eine deutliche Verschiebung Richtung weniger Gewalt inszenierender Titel. Allgemein lässt sich feststellen, dass vorzugsweise Gratis-Games gespielt werden, was die Problematik von Dark Patterns, Gamblification (Integration von Glücksspielelementen in Computerspiele) und unerwünschter Bindungsmechanismen auf den Plan ruft.
Lieblings-Games 2024. © JAMES 2024
Beleidigt und beschimpft
Im Vergleich zur James-Studie 2022 wurde der Fragebogen zu Cybermobbing in der Befragung von 2024 erweitert. So wurde nicht mehr nach dem Begriff «Cybermobbing» gefragt, sondern nach einzelnen Elementen wie Beschimpfen oder Beleidigen etc. Gemäss der James-Studie 2024 gibt fast ein Viertel an, dass sie in den letzten zwei Jahren in privaten Nachrichten mehrmals beschimpft oder beleidigt wurden. Weniger als ein Drittel hat diese Erfahrung noch nie gemacht.
Interessant ist der Vergleich zum öffentlichen Raum, wie die Forschenden festgestellt haben: «Wechselt es in den öffentlichen Rahmen, sieht das etwas anders aus: 7 % der Jugendlichen hat mindestens mehrere Male erlebt, dass sie im Internet öffentlich beschimpft wurden oder dass sich andere im digitalen Raum über sie lustig gemacht oder sie gehänselt haben. Aus Online-Gruppen wurde ein Fünftel der Jugendlichen schon mindestens einmal ausgegrenzt oder ausgeschlossen, nur wenige Jugendliche haben das mehrere oder gar viele Male erlebt. Ein weiteres Fünftel berichtet davon, dass mindestens einmal peinliche oder unangenehme Fotos oder Videos von ihnen verbreitet wurden. Auch hier sind die Zahlen bei mehrere bzw. viele Male eher tief. Insgesamt 7 % berichten davon, dass sie mindestens einmal online unter Druck gesetzt oder bedroht wurden.»
Unerwünschte sexuelle Anfragen
Ähnlich wie beim Cybermobbing haben in den letzten zehn Jahren verschiedene Formen der sexuellen Belästigung zugenommen. Auch in diesem Bereich wurde deshalb der Fragebogen in der James-Studie 2024 erweitert: «Jugendliche berichten wie folgt über unerwünschte sexuelle Anfragen im Internet während der letzten zwei Jahre: 36 % wurden mindestens einmal nach dem Aussehen ihres Körpers gefragt, 33 % haben erlebt, dass Fremde über Sex reden wollten, und 32 % wurden mit sexuellen Absichten angesprochen. 26 % wurden ermuntert, erotische Fotos zu schicken, 8 % wurden zu sexuellen Handlungen vor der Webcam aufgefordert, und 3 % erlebten schon mindestens einmal Sextortion durch Erpressung mit erotischen Medien.»
Von sexueller Belästigung sind weibliche Jugendliche deutlich häufiger betroffen als ihre Kollegen. Fast die Hälfte von ihnen wurden nach dem Aussehen ihres Körpers gefragt, während nur ein Viertel der Jungs das schon erlebt hat. 45 % der Mädchen wurden schon mit unerwünschten sexuellen Absichten angesprochen. Bei den männlichen Jugendlichen waren es bloss 20 %. Mehr dazu in nachfolgender Grafik.
ChatGPT liefert Informationen
Über 70 % der Jugendlichen haben bereits Erfahrungen mit ChatGPT und anderen KI-Anwendungen gemacht. «Dies ist ein fulminanter Einstieg des neuen Mediums, wenn man bedenkt, dass die Technologie erst Ende 2022 in den Fokus der breiten Masse trat. ChatGPT und Co. haben sich so rasch in das Alltagsleben integriert wie wohl nie ein Medium zuvor», beschreibt das James-Team die Daten.
Während lediglich 10 % der Jugendlichen Portale von Zeitungen und Zeitschriften nutzen, um an Informationen zu gelangen, vertrauen mehr doppelt als so viele auf von KI-Anwendungen wie ChatGPT aggregierte Infos. Tendenzmässig sind es ältere und besser situierte Jugendliche, die künstliche Intelligenz nutzen.
In Anbetracht der schnellen Akzeptanz von KI-Anwendungen und deren nicht immer fehlerfreien Antworten, sogenannten Halluzinationen, sollten die Resultate kritisch hinterfragt werden. Anders gesagt: Auch im Umgang mit künstlicher Intelligenz ist Medienkompetenz gefragt.
Sehr spannend Danke! :)