Gar nichts begriffen
Der Bund will sparen und schlägt dabei den denkbar dümmsten Bereich vor: Jugend und Sport. Zum Glück regt sich Widerstand gegen das Vorhaben.
Mit sozialen Medien habe ich nicht meine liebe Mühe und halte es so wie Internet-Pionier Jaron Lanier. Sein Buch «Zehn Gründe, warum du deine Social Media Accounts sofort löschen musst» kann ich nur empfehlen. Lanier weist darauf hin, dass ausser Linkedin kein soziales Medium einem Zweck dient. Daran hat auch das Aufkommen von Tiktok nichts geändert – im Gegenteil. Der TT-Algorithmus hat die vielen negativen Eigenschaften zur Perfektion hochgeschraubt. Entsprechend einfach ist das Doom Scrolling geworden, bei dem sich Nutzerinnen und Nutzer den Daumen wund schieben, weil sie nie zum Ende ihres Video-Feeds kommen und immer tiefer ins sogenannte «rabbit hole» sinken, wo radikalere Extreme auf sie warten.
Natürlich ist auch Linkedin nicht über alle Zweifel erhaben. Immer wieder wird die «Facebookisierung» von Linkedin durchs digitale Dorf getrieben. Die Tendenz besteht zweifelsohne, wenn unter dem Prätext von Führungsqualitäten Tiervideos gepostet und deren Inhalte falsch interpretiert werden. Wer aber seine Kontakte pflegt, kann solche wohlgemeinten Querschläger in Zaun halten.
Lanier sei dank bin ich nur auf Linkedin aktiv und verliere entsprechend wenig Zeit. Dafür habe ich meinen neuen coolen Job Ende 2024 dort gefunden und bin auch auf ein kurzsichtiges Sparvorhaben des Bundes aufmerksam gemacht worden, obschon ich mich online nicht politisch betätige: Statt das nationale Sportförderprogramm Jugend und Sport (J+S) auszubauen, weil es sehr gefragt ist und jährlich 680'000 Jugendliche davon direkt oder indirekt profitieren, will der Bund weniger Geld zur Verfügung stellen: Statt wie bisher CHF 115 Millionen nur noch CHF 113 Millionen.
Grössere Nachfrage, weniger Geld
Die Differenz scheint auf den ersten Blick verkraftbar. Doch die Vereine müssen mit weniger Geld eine wachsende Nachfrage bedienen. So hat die NZZ vorgerechnet: «Geht es nach dem Willen des Baspo, hätte das für junge Sportlerinnen und Sportler einschneidende Folgen: Pro Teilnehmerin und Stunde will der Bund ab 2026 statt 1 Franken 30 bloss noch 1 Franken 04 zahlen. Für einen Tag eines Trainings- oder Ausbildungslagers statt 16 Franken nur noch 12 Franken 80. Die Reduktion der Beiträge entspricht also ungefähr einem Fünftel.»
Über Linkedin wurde ich auch auf die Online-Petition aufmerksam, die den Amtsschimmel zurückpfeifen soll. Das Sammelziel von 150'000 Unterschriften hat der am 19. Juni gestartete Vorstoss schon Anfang Juli erreicht. Herzliche Gratulation! Mich freut die breite Unterstützung ungemeint. Inzwischen haben sich die politischen Trendsurferinnen und -surfer aufs Zeitgeistbrett geschwungen, und so reiten SVP, Grüne und SP die J+S-Welle. Warum FDP und Mitte mit Abwesenheit glänzen, ist eine andere Frage.
Schiefgehen kann dabei kaum etwas, denn Sport ist nun erwiesenermassen eine der sinnvollsten Freizeitbeschäftigungen. Da muss nicht einmal von «Zeiten sicherheitspolitischer Unsicherheiten» schwadroniert werden, um das Sparvorhaben als weltfremd zu klassifizieren. Besonders stossend ist dabei, dass parallel dazu besorgt der schulpolitische Mahnfinger erhoben wird und im Kontext von Smartphones und sozialen Medien Verbote und Altersfreigaben gefordert werden. Warum? Weil sich die Kinder und Jugendlichen sonst in den Pausen nicht bewegen oder miteinander spielen und ohne Bildschirm vor der Nase miteinander reden.
Soziales Experimentierfeld
In diesem Zusammenhang gleich eine weitere Empfehlung. Mein aktueller Lieblings-Podcaster, Trevor Noah, hat als Gast seiner «What Now?»-Sendung den langjährigen Politikwissenschaftler und Harvard-Professor Robert Putnam eingeladen. Putnam, der unter anderem «Bowling Alone: The Collapse and Revival of American Community» geschrieben hat, weist darauf hin, dass Menschen miteinander einen anständigeren Umgangston pflegen, wenn sie wissen, dass sie sich eine Woche später– beispielsweise im Training – wieder sehen. Nebst der Anonymität ist das Fehlen dieser wiederkehrenden Begegnungen mitverantwortlich für den gehässigen Ton auf Online-Plattformen.
So gesehen sind insbesondere Mannschaftsportarten, aber auch andere in Vereinen organisierte Sportarten ein tolles Experimentierfeld für den sozialen Umgang. Hier lernen Kinder und Jugendliche, Konflikte zu lösen und einander dabei in die Augen zu schauen, statt sich endlose SMS-Tiraden zu liefern, die ohnehin zu Missverständnissen und einem Haufen «ich ha gmeint …»-Fehlinterpretationen führen. Mit einer Kürzung der J+S-Förderung würde Bern sich und der Schweiz einen Bärendienst erweisen und das für einen Sparbetrag, der mit Blick auf das Gesamtbudget nicht der Rede wert ist.
Illustration: Marc Bodmer x Dall-E 3