Die dunklen Zeiten
Fünf Jahre nach Doom: Eternal besinnt sich das Studio iD Software auf seine Wurzeln zurück und legt mit Doom: The Dark Ages ein grandioses Comeback hin.
Wohl kein anderes Game hat die allgemeine Wahrnehmung von Videospielen so nachhaltig geprägt wie Doom. Noch heute ist das Vorurteil weit verbreitet, dass in Computergames «immer geschossen wird». Der Grund dafür findet sich vor über 25 Jahren. Damals veranstaltetenEric Harris und Dylan Klebold im Denver-Vorort Littleton ein Massaker an der Columbine Highschool.
Am 20. April 1999 erschossen Klebold und Harris binnen einer Stunde zwölf Schülerinnen und Schüler, einen Lehrer und anschliessend sich selbst. Eigentlich wollten sie mit zwei selbstgebastelten Propangasbomben die mit 500 Personen vollbesetzte Cafeteria in die Luft sprengen, aber die Zünder funktionierten nicht. Sie waren gezwungen, zu «improvisieren» und begannen auf Schülerinnen und Schüler zu schiessen. Dass Studenten ihre Kolleginnen und Kollegen töten, hat die Grundfesten der Gesellschaft erschüttert, und im Raum stand das grosse «Warum?».
Die Medien hatten damals wohl noch etwas mehr Zeit als heute, wo laufende Entwicklungen im Minutentakt aufdatiert werden, aber wie sollten sie binnen weniger Stunden das Unerklärliche erklären? Von den beiden Tätern war wenig bekannt, aber etwas: Sie spielten den Egoshooter Doom, und zwar exzessiv. Der vereinfachenden «monkey see, monkey do»-These folgend ergab das Sinn: Im Game wird geschossen, an der Highschool wurde geschossen. Da musste ein Zusammenhang bestehen. Dass Schiessen gewissermassen der Plan B war, spielte zu diesem Zeitpunkt keine Rolle. Die Schlagzeilen waren geschrieben und der Ruf von Videogames bis heute ziemlich ruiniert.
Für viele Menschen, insbesondere besorgte Eltern, war die mediale Verbindung zwischen Shooter und dem Massaker an der Schule der erste Eindruck dieses neuen Mediums und: «You never get a second chance for a first impression.» Die so einleuchtende Verkoppelung von Shooter-Games und «Amokläufen» an Schulen verfing weit besser als Erklärungsansätze wie «erweiterter Suizid» und dergleichen. Inzwischen hat sich gezeigt, dass die negativen Auswirkungen von gewaltinszenierenden Games auf den Alltag marginal sind im Vergleich zu häuslicher Gewalt, Alkohol- und Drogenkonsum, Erniedrigungen durch Lehrpersonen usw., aber die anderen Faktoren lassen sich nicht so schön illustrieren. Darin liegt aus meiner Sicht die grösste Gefahr von gewaltinszenierenden Games: Sie lenken von den eigentlichen Ursachen ab, die zu Gewalt in unserer Gesellschaft führen.
Doch warum dieser Exkurs in die Vergangenheit? Das neuste Kapitel der Doom-Serie kehrt in vielerlei Hinsicht zurück zu den Wurzeln. Wohl das auffälligste Merkmal ist, dass The Dark Ages ein klassisches Single-Player-Spiel ist. Es gibt keinen Online-Modus oder Begegnungen mit anderen Mitspielern wie es heute praktisch Programm ist. Hier geht es einzig um Dämonen, Monster und andere Höllenkreaturen, die das Spiel bereithält, und den immensen Spass dabei, diese zu bekämpfen.
Macht, Kontrolle und Selbstwirksamkeit
Mit zu den klassischen Hauptmotivationen, Shooter-Games zu spielen, gehören die Bedürfnisse nach Macht, Kontrolle und Selbstwirksamkeit. Besonders männliche Jugendliche, die in einer von Erwachsenen dominierten und überwachten Welt aufwachsen, haben kaum Gelegenheit, diese Wünsche zu befriedigen. Games bieten hier eine rare Möglichkeit, von Eltern unbehelligt – dank deren technischer Unbeholfenheit – etwas zu erleben. Wie wenige Spiele vermittelt The Dark Ages das Gefühl von Selbstwirksamkeit, wenn ich mein mit Klingen bewehrtes Schild in eine Horde heranstürmender Ungeheuer schleudere und diese damit gleich zweiteile. Stärkere Monster werden durch das Schild, das sich in ihren Körper fräst, immerhin gebremst. Um diesen Gegner niederzuringen, muss ich augenblicklich den Moment für einen weiteren Angriff nutzen.
Bei solchen Beschreibungen werden viele ungläubig die Augen verdrehen und sich fragen, ob der Autor noch bei Sinnen ist. Davon ist auszugehen, denn etwas anderes ist nicht bekannt. Wer moralisieren will, ist bei Doom: The Dark Ages definitiv am falschen Ort. Das ab 18 Jahren freigegebene Spiel lebt von seiner grandiosen Absurdität, dem «over the top». Laufend werden die Widersacher noch widerlicher, noch grösser, noch kolossaler. Parallel dazu wandeln sich die Waffen, die sich natürlich aufrüsten lassen, um noch mehr Schaden bei den Gegnern anzurichten. Diese höllische Spirale weckt Begehrlichkeiten. Kaum habe ich die eine neue Knarre, die z.B. als Munition magische Schädel raspelt und zu meiner Begeisterung Legionen mit den Splittern niedermäht, freue ich mich auf die nächste Kreation, um die Killer-Kreaturen abzuräumen, und werde nicht enttäuscht. Den Designerinnen und Designern von iD Software fällt immer wieder etwas Überraschendes ein.
Die Kunst der Wucht
Es ist eine Kunst, diese Wucht und dieses Gefühl von Kontrolle zu kreieren. Nur wenigen Action-Game-Serien wie God of War, Ghost of Tsushima oder Batman: Arkham gelingt dies. Dieses Erleben von Kontrolle ist die Basis der Selbstwirksamkeit. Ich steuere den Slayer wie eine Marionette, bediene seine Fäuste und Waffen im Kampf gegen die Dämonen der Dunkelheit, die die Macht an sich reissen wollen. Gelingen die Kombinationen, komme ich in einen Flow und bin kaum mehr zu bremsen. Dieses Gefühl hat mir bei den letzten Doom-Kapiteln deutlich gefehlt. Ich fühlte mich überwältigt, fehl am Platz. Nicht so im «dunklen Zeitalter», das immer wieder zu weiteren Schlachten ruft.
Mit Doom: The Dark Ages feiert die 32-jährige Franchise ein vergnügliches Comeback, das manche Schöngeister und selbsternannte Weltverbesserer in Rage bringen wird. Das ist auch recht so, denn es wird für die Jugendlichen zusehends schwieriger, sich von ihren hippen und coolen Eltern abzunabeln und etwas Eigenständiges zu machen. Der Slayer kann da vielleicht etwas helfen – aber offiziell erst ab 18 Jahren.
Kleine Randnotiz: Höllischer Garten
Wie sehr Doom Teil der populären Kultur ist, zeigt auch eine aussergewöhnliche PR-Aktion. Zur Veröffentlichung von Doom: The Dark Ages Mitte Mai stellten der Publisher Bethesda Softworks, Microsoft Xbox und die Firepit Company, die bekannt ist für massgefertigte Feuerstellen, an der RHS Chelsea Flower Show, der renommiertesten Gartenausstellung Grossbritanniens, aus. Das Hauptmerkmal galt einer von Doom: The Dark Ages inspirierten Feuerstelle, deren Schmiedearbeit Dämonen und andere Gegner aus dem Spiel zeigte. «Doom war mein erstes Action-Game und begründete meine Liebe zu Videospielen», sagt Firepit-Chef Jason Andre. «Als wir davon sprachen, etwas für Doom – The Dark Ages zu machen, war ich Feuer und Flamme. Es war eine Freude, an einem solchen Kultprojekt mitzuwirken.»
https://doom.bethesda.net/en-EU/the-dark-ages
Bilder: Bethesda