Chat mit «Samira» – Gefährliche Selbstjustiz
Wer sich als junge Frau oder Mädchen in Chat-Gruppen bewegt, wird oft anzüglich angeschrieben. Selbsternannte Pädophilien-Jäger locken potentielle Täter in Fallen und stellen sie online bloss.
Damian Zogg (18)
Samira (13-jährig) lernt Peter (49-jährig) über Instagram kennen. Anfangs sind die Gespräche zwischen den beiden locker, lustig und interessant. Doch schon nach kurzer Zeit beginnt Peter, immer wieder Witze mit sexuellen Andeutungen zu reissen. Es folgen Bilder von seinem Penis und die Aufforderung, dass Samira ebenfalls anziehende Bilder von sich schicken solle. Samira meint aber, sie fühle sich dabei nicht wohl, lieber würde sie sich an einem ruhigen Ort treffen, wo sie sich ungestört sehen könnten. Peter wartet neugierig am Rande eines Parks auf Samira. Plötzlich aber steigen mehrere maskierte Jugendliche von ihren Fahrrädern ab, konfrontieren Peter mit den Chatverläufen und schlagen ihn brutal zusammen. Klar wird: Samira gibt es in Wirklichkeit nicht. Sie war nur ein Vorwand, um den potentiellen Pädo-Kriminellen in eine Falle zu locken.
Fälle wie das eben genannte Beispiel sind unter dem Namen Paedo-hunting (deutsch: Pädophilen-Jagd) bekannt. Seit einigen Jahren kursieren auf diversen Online-Plattformen Videos von verschiedensten Gruppierungen.
Die Jugendlichen und jungen Männer geben sich in Chats auf sozialen Netzwerken als Minderjährige aus, um Erwachsene zu entlarven, die mit jungen, minderjährigen Mädchen und Buben sexuelle Kontakte wollen. Unter einem Vorwand locken sie die Verdächtigen in eine Falle und filmen alles – die Männer werden dabei erniedrigt und vielfach auch geschlagen. Die Videos erscheinen dann auf Youtube oder Tiktok.
Eine «gerechte» Bestrafung für vermeintlich Pädophile? Für Dirk Baier von der Uni Zürich ist klar: «In Wirklichkeit geht es eher darum, Spass zu haben. Und die eigene Gewaltakzeptanz auszuleben. Es handelt sich übrigens um ein typisches Gruppengewalt-Phänomen. Man schaukelt sich gegenseitig hoch.» Es gehe dabei nicht um Kinderschutz, sondern darum, selber Gewalt anwenden zu können unter dem Deckmantel, Minderjährige schützen zu wollen.
Kein mittelalterlicher Pranger
In den sozialen Medien finden diese Paedo-Hunting-Aktionen aber grossen Zuspruch – in erster Linie von jungen Nutzern. Dies ist zum einen verständlich. Viele Menschen empfinden das Aufdecken eines solchen sexuellen Übergriffs gut und haben das Bedürfnis nach einer schnellen und «gerechten» Lösung. Das Gesetz in die eigenen Hände zu nehmen, scheint vielleicht auf den ersten Blick am einfachsten und moralisch legitimiert. Die selbsternannten «Kinderretter» machen sich so aber selbst zu Tätern.
Zudem darf man dabei nicht vergessen, dass blosse Gefühle die Anwendung von Gewalt oder Drohungen nicht rechtfertigen. Selbstjustiz ist strafbar, und es besteht die Gefahr, dass Leute online an den Pranger gestellt werden, die unschuldig sind. Der Schaden, den solche Aktionen verursachen, ist irreparabel. Nicht umsonst ist die Abschaffung des mittelalterlichen Prangers, an dem Menschen öffentlich vorgeführt wurden, Ausdruck eines zivilisierten Rechtssystems.
Ein moderner Rechtsstaat basiert auf dem Gesetz, den Grundrechten und fairen Verfahren. Mit Paedo-Hunting und anderen Selbstjustiz-Aktionen werden diese Werte unserer Gesellschaft aber untergraben.
Entdeckt man Grooming oder vermutet man einen Fall von Pädophilie oder weiss, dass sich eine Straftat anbahnt, sollte man daher umgehend die Polizei informieren oder Meldung machen bei der Plattform, auf der man diesen Übergriff festgestellt hat. Am besten beides.
Quellen:
Bild: Marc Bodmer x Perplexitiy

